Gottesdienste im Mai 2020





Predigt an Exaudi 2020, 24. Mai 2020
Text: Jer 31, 31-34 (Reihe II)
Pfarrerin Irene Maier


Liebe Gemeinde,

Himmelfahrt liegt hinter uns und Pfingsten vor uns. Eine besondere Zeit war das damals auch für die Jüngerinnen und Jünger. Jesus war weg, er hat sich von ihnen verabschiedet. Sie sehen ihn nicht mehr und warten darauf, dass sich erfüllt, was er versprochen hat: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein. “(Apg 1) Den Heiligen Geist hat er ihnen versprochen. Er ist aber noch nicht gekommen, also warten sie, hoffen und beten. Vielleicht mit den Worten aus Psalm 27, den wir vorhin gehört haben und den das Volk Israel schon immer gebetet hat, wenn sie unsicher waren, wenn sie Gott gern gehört oder gespürt hätten, wenn sie Gott um Hilfe angefleht haben.
So sitzen sie zusammen, beten und warten. Sie wissen nicht wie sich das Kommen des Geistes ereignen wird, wie die Zukunft aussieht, doch sie haben Jesu verheißungsvolle Worte im Ohr. Und all die schönen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit Jesus haben sie im Herzen. Das hilft ihnen vertrauensvoll zu warten.
Auch wir können in diesen Tagen nicht anders als zu warten. Am Anfang haben wir darauf gewartet, dass es endlich Lockerungen der vielen Beschränkungen gibt, jetzt warten wir darauf, dass wir noch mehr Freiheiten zurückbekommen. Je länger es dauert, umso schwerer fällt es uns. Wir wollen eine Perspektive, am besten ein Datum. Wann können wir endlich wieder Gottesdienst ohne Masken feiern? Wann ist wieder ein Geburtstagsfest in großer Runde möglich? Wann ist es wieder gut, also so wie vorher?
Viele werden ungeduldig und gehen auf die Straße. Manche blenden mit Verschwörungstheorien als schnelle und einfache Antwort und führen doch nur hinters Licht. Sie wollen ein schnelles Ende aller Einschränkungen. Am besten sofort. Sie wollen nicht mehr warten, ihr Geduldsfaden scheint zu reißen.
Warten ist ganz bestimmt nicht leicht, besonders für die nicht, die  Existenzsorgen haben und nicht wissen, wie es weiter geht.
Warten aber gehört auch zu unserem Glauben. Warten, weil wir vertrauen, wie die Jünger damals den verheißungsvollen Worten Jesu vertraut haben: “Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen!“
Warten mussten auch schon die Menschen aus dem Volk Israel, 600 Jahre vor Christus. Sie mussten eine grausame Niederlage hinnehmen, Tempel und Stadt waren zerstört, ihr Leben fand in Trümmern oder in der Fremde statt. Der Prophet Jeremia hatte das Unglück über Jerusalem kommen sehen, er wusste, dass die Israeliten selbst dran Schuld waren, weil sie Gottes Gebote vergessen und seinen Bund mit Füßen getreten haben. Vielleicht ahnten sie selbst etwas von ihrer Schuld.  
In dieser schwierigen Zeit hören sie die verheißungsvollen Worte des Jeremia, unser heutiges Predigtwort:
31 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, 32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; 33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. 34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.
„Siehe, es kommt die Zeit…., da will ich mit euch  einen neuen Bund  schließen.“ So macht der Prophet den Menschen wieder Mut und Hoffnung auf eine neue, gute Zukunft. Gott selber stellt sie ihnen in Aussicht, trotz ihrer Schuld und ihres Versagens. Damit wird nicht sofort alles wieder gut, sie können nicht gleich wieder zurück ihre Heimat, in ihr altes vertrautes Leben. Aber Sie dürfen und sollen voller Hoffnung darauf warten, dass Gottes Weg mit ihnen weitergeht, dass Gottes Liebe stärker ist als ihre Schuld. „Siehe, es kommt die Zeit…“
Ein neuer Bund. Für uns Christen ist der neue Bund Gottes schon da. Er ist erfüllt im Kommen Jesu. Wo Jesus ist, da ist der neue Bund.
Was hat dann unser christlicher Glaube noch mit Warten zu tun, wenn Gott sein Versprechen bereits erfüllt hat?
Worauf wir noch immer warten und hoffen, das ist, dass sich dieser neue Bund auch in unserm Leben durchsetzt, dass wir mehr und mehr erfahren und spüren, dass Gott mit seiner Liebe auf unserer Seite steht. Wir hoffen darauf, dass Gottes Geist immer neu Menschen bewegt, nach seinem Willen zu leben. So warten wir darauf, dass letztlich alles gut wird. Denn es ist längst nicht alles gut.
Durch die Corona-Krise erleben wir aufs Neue. Unser Leben ist eingeschränkt, sehr verletzlich und bedroht.
Daher gelten auch uns, wie den Israeliten die verheißungsvollen Worte: „Siehe, es kommt die Zeit!“ Es kommt etwas, das jetzt noch nicht da ist.
Die ungewohnte Situation, in der wir uns seit vielen Wochen befinden und die sicher auch noch länger bleiben wird, zeigt:
Es ist längst nicht alles gut. Darum dürfen und sollen auch wir erwartungsvoll mit dem Psalmbeter bitten: „HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und antworte mir!“
Dann sitzen wir wie die Jünger beieinander. Und doch anders, weit auseinander. Mit Mundschutz, dürfen nicht singen und musizieren, wie früher. Dürfen uns nicht begrüßen und  verabschieden, wie wir es gerne täten. Sondern warten. Warten, dass kommt, was Gott versprochen hat.
Ich möchte dankbar dafür sein, wie gut es mir geht. Dass ich habe, was ich zum Leben brauche. Dass ich gesund bin und mit vielen lieben Menschen verbunden bin. Aber ich vermisse die offene Gemeinschaft. Das Singen im Chor. Die aufgeschlossenen und fröhlichen Kinder im Minigottesdienst., die guten Gespräche in unserer Lebensrunde. Das alles ist noch nicht möglich. Und es gibt kein: Jetzt. Sofort. Wir warten. Ich warte. Das gehört zu dieser Situation dazu. Es gehört zu unserem Glauben dazu. Zu warten, dass sich Gottes Verheißung vollendet und das Leben bestimmt.
„Siehe, es kommt die Zeit.“ Und dann glauben wir nicht nur. Dann sprechen und bekennen wir nicht nur.  Dann erleben wir. Gottes Nähe nicht bloß im Kopf und auf den Lippen. Sondern im Herzen. Und darum im ganzen Menschen. Was in meinem Herzen wohnt, das bestimmt mein Leben. Was ich denke. Was ich glaube. Was ich hoffe, Worauf ich mich freue. Wenn ich liebe. Was ich liebe. „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben.“ Von Jesus wissen wir, dass die Liebe Gottes Gesetz ist. Jesus hat die Liebe gelebt. Die Liebe ist das Gesetz, das uns sagt, was zu tun und zu lassen ist. Gott gibt sie uns ins Herz und schreibt sie in unsere Gedanken.
So macht Gott selbst seine Verheißungen wahr. Er meint es gut mit uns. Er hat eine Zukunft für uns, auch wenn wir sie jetzt noch nicht sehen. Darauf lasst uns vertrauen und mit seiner Hilfe geduldig warten und mit meinem Konfirmationsspruch bitten: “Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist!“ ( Ps51,12)


Amen


nach oben
 





Gottesdienst für Christi Himmelfahrt, 21. Mai 2020
Pfarrer Jochen Maier

 
Wochenspruch: „Christus spricht: Wenn ich erhöht werde
von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.“ Johannes 12,32
Predigttext: Johannes 17,20-26
 
Liebe Gemeinde,
 
ein Vater macht mit seinem sechsjährigen Sohn einen ausgedehnten Sonntagsspaziergang hinaus in die Flur. Sie unterhalten sich über alles Mögliche, immer wieder gibt es etwas zu entdecken, interessante Steine, kleine Käfer, Vögel und manches mehr. Da zieht plötzlich ein Gewitter auf und weit und breit ist kein Unterschlupf in Sicht.
Ehe sie sich versehen fängt es auch schon zu regnen an, es schüttet wie aus Kübeln gegossen. Da nimmt der Vater den Sohn unter seinen weiten Lodenmantel. Und das ist ein Moment, an den sich der Sohn ein Leben lang erinnert: Ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Als der Junge längst schon erwachsen ist, weiß er noch genau, wie es damals gerochen hat: der nasse Lodenstoff des Mantels und der vertraute Geruch des Vaters. Und als er viele Jahre später eines Nachts im Krankenhaus in seinem Bett liegt, in der Nacht vor einer schweren Operation, da holt der Junge von damals, der nun ein erwachsener Mann ist, diese Erinnerung wieder hervor. Und er merkt, wie er ruhiger wird. Wie es für ihn auch noch nach so langer Zeit funktioniert: Dieses Gefühl der Geborgenheit und der Sicherheit.
Ist das nicht etwas ganz Wunderbares? Wenn Vater und Sohn so etwas miteinander erleben? Wenn der Vater dem Sohn etwas mitgibt, was ein Leben lang hält? Ich weiß nicht, ob mir das als Vater bisher gelungen ist. Ich hoffe es jedenfalls von ganzem Herzen.
Und natürlich gibt es das auch in anderen Beziehungen, mit der Mutter, der Tochter, der Oma, dem besten Freund oder der besten Freundin. Mal ist es eine Umarmung im rechten Moment – aller Corona-Abstandsregeln zum Trotz, mal ein Gespräch, mal ein stilles Zusammensitzen, mal etwas ganz anderes. Glücklich darf sich schätzen, wer solche Momente selbst erlebt hat. Sie halten ein Leben lang und sie bringen so viel Gutes hervor: Nämlich Vertrauen und Zuversicht und auch Selbstbewusstsein. Erfahrungen, für die man wirklich nur dankbar sein kann.
Leider gibt es aber auch das Umgekehrte, dass sich Vater und Sohn nicht verstehen, dass sie es schwer haben miteinander.
Matthias Brand, der Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers hat über seinen Vater Willy Brandt einmal gesagt: „Das Verhältnis zu meinem Vater war nicht besonders innig.“ Matthias Brandt wurde Schauspieler und hat im Film „Im Schatten der Macht“ Günter Guillaume gespielt, den Ost-Spion, der letztlich den Rücktritt seines Vaters als Kanzler herbeiführte.
Oder Walter Kohl, einen der beiden Söhne von Helmut Kohl der in seinem Buch „Leben oder gelebt werden“ schreibt: „Wir Kinder wurden nur benötigt.“ Er fühlte sich wie ein Requisit. Ist das nicht bitter, mit so einem Gefühl leben zu müssen?
Solche Beispiele gibt es also auch. Und wahrscheinlich gar nicht so wenige.
Welche Beziehung habe ich zu meinem Vater? Zu meiner Mutter? Und welche Beziehung habe ich zu meinen Kindern?
Der Vatertag heute wäre als Vater-Sohn-Tag doch eigentlich eine recht gute Gelegenheit mal darüber nachzudenken, zumal es mit großen Festlichkeiten heute ja ohnehin noch schwierig ist.
Welche Beziehungen haben mich bisher geprägt? Lasst uns bei einigen Takten Orgelmusik darüber nachdenken. Wofür bin ich dankbar? Was hat mich geprägt?
Liebe Gemeinde, egal an was für eine Beziehung Sie nun gedacht haben – wenn es gute, innige Beziehungen gibt oder gab, dann ist das Grund zur Dankbarkeit, denn davon lässt sich zehren.
Das Predigtwort für diesen Himmelfahrtstag lässt uns Zeuge sein ein ganz besonderen Vater-Sohn-Beziehung. Wir können miterleben, wie ein Sohn sich voll Vertrauen an den Vater wendet.
Hören wir einen Abschnitt aus dem Johannesevangelium, Kapitel 17:
Jesus hob seine Augen zum Himmel und sprach: Ich bitte aber nicht allein für die, die du mir gegeben hast, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, dass sie alle eins seien.
Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.
Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.
Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe die Welt gegründet war.
Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast.
Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.
AMEN
 
Was wir da gehört haben, das war ein Abschnitt aus den Abschiedsreden Jesu. Jesus nimmt Abschied von den Jüngern, von seinen Freunden. Er weiß, dass er sterben wird. Aber er hält das aus. Er weiß sich getragen vom engen Verhältnis mit seinem Vater, zu dem er zurückkehren wird. Er und der Vater sind eins.
„Du hast mich geliebt, ehe die Welt gegründet war.“ Sagt Jesus. Das ist doch stark, wenn das ein Sohn am Ende zu seinem Vater sagen kann: „Du hast mich geliebt!“ Und wunderbar, wenn ein Vater so etwas von seinem Sohn hören darf.
Natürlich ist das Verhältnis zwischen Jesus und Gottvater etwas ganz Besonderes.
Es übersteigt letztlich unsere Vorstellungskraft.
Aber das Großartige ist doch, dass wir als diejenigen, die Jesus nachzufolgen versuchen, in dieses Verhältnis mit hineingenommen sind.
„Wie du Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein.“ So wie der Vater seinen Sohn unter den Mantel birgt, so wie der Vater seinen Sohn seine Wege gehen lässt aber weiter für ihn da ist, so wie eine Mutter ihr Kind in den Arm nimmt und tröstet, so wie der beste Freund, die beste Freundin zuhört und mitfühlt, so ist Gott für uns da. Die Beziehung zwischen Jesus und seinem himmlischen Vater bleibt etwas ganz Besonderes, aber wir bekommen Anteil an diesem starken Miteinander, an dieser grundlosen und unerschöpflichen Liebe des Vaters. Und wir dürfen und sollen das weitergeben.
Unter uns Menschen wird das immer nur in Ansätzen gelingen. Himmelfahrt, das ist auch das Fest, das uns zeigt: noch sind wir nicht im Himmel, noch kann keiner sagen: Der Vater und ich sind völlig eins und deshalb weiß ich genau, was richtig ist und was falsch ist, deshalb habe ich die Weisheit gepachtet.
Neben dem Klingelschild einer Wohnung haben ich einmal gelesen: Hier leben, lieben und streiten sich Martin, Susanne, Maximilian und Sofie Huber.
Streit, Auseinandersetzungen sind normal und sie sind notwendig, wo Menschen zusammen leben. Was sie zusammenhält, ist die Liebe: Streiten ohne Angst, dass man verlassen wird, manchmal anderer Meinung sein, und doch gemeinsam an einem Tisch sitzen.
Das muss Kirche ausmachen: Wir sind Kirche, weil Jesus mit seiner Liebe unter uns ist, mitten unter uns schwierigen und manchmal lieblosen Menschen.
Wir sind Kirche, weil Jesus mit seinem Gebet und seiner Hoffnung für uns eintritt und wir unter dem Mantel Gottes geborgen sein dürfen Auf dass sie alle eins werden.
Darauf lasst uns trauen.


AMEN


nach oben

 



Gottesdienst für Sonntag, Rogate, 17. Mai 2020
Pfarrerin Irene Maier

 
Wochenspruch: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht
verwirft noch seine Güte von mir wendet." Psalm 66,20
Predigttext: Matthäus 6,5-15
 
Liebe Gemeinde,
 
manche von Ihnen kennen bestimmt noch die schönen alten Schwarz-Weiß-Filme von Don Camillo und Peppone. Ich habe sie immer gerne angeschaut. In einem dieser alten Filme, da sitzt Don Camillo im Beichtstuhl, als ihn der Sohn des Bürgermeisters besucht, um dem Priester seine Sünden zu bekennen. Aber Don Camillo hört gar nicht richtig zu, viel zu sehr ist er wieder mal abgelenkt von einem Streit mit dem Bürgermeister. Dem Jungen gibt er als Bußstrafe auf, siebenmal das Vaterunser zu beten, damit sei dann alles wieder gut. Abgesehen davon, dass das natürlich schön wäre: Sieben Vaterunser - und alles ist wieder o.k. – doch dürfen wir so damit
Das Vaterunser geht auf Jesus selbst zurück, er selbst hat es seinen Jüngern und damit der Gemeinde gelehrt. In diesem Gebet hat er alles zusammengefasst, was ihm in der Beziehung Gott - Mensch wichtig ist. Und er hat damit auch gezeigt, was er nicht will: Beten darf nicht zum Quasseln werden, sagt Jesus. Einfach, persönlich und vertraulich - so sollen wir beten. Wir sollen beim Beten nicht auf die anderen schielen, nicht unsere eigene Frömmigkeit vorzeigen. Aus diesem Grund empfiehlt Jesus, dass man lieber in sein Kämmerlein gehen solle, um dort zu beten. Das Gebet darf nicht zur Show werden - es ist etwas ganz Persönliches. Gerade das ist doch die ganz große Stärke des Vaterunsers: Es ist so weit formuliert, dass ein jeder seine ganz persönlichen Sorgen, Wünsche und Anliegen hineinlegen kann. Es ist wie eine offene Klammer, die alle persönlichen Belange zusammenfasst. So haben wir es gerade in den vergangenen acht Wochen erleben dürfen, als viele am Abend zuhause eine Kerze angezündet haben und wir uns trotz Entfernung  im  Gebet miteinander verbunden wussten. Das gemeinsame Gebet im Geiste Jesu kann tragen.
Als 18-Jährige habe ich das erste Mal einen Kirchentag besucht und zwar in Düssseldorf. Ich weiß davon kaum mehr etwas Konkretes. Doch eines hat mich schon damals bleibend beeindruckt. Als nämlich beim Abschlussgottesdienst im Stadion, das war damals in Düsseldorf, Tausende von Menschen das Vaterunser gebetet haben. Es war kein zaghaftes Gemurmel irgendwo in einer Kirche. Es war fast wie ein kraftvolles Brausen.  "Dein Reich komme!" Ja, wenn so viele unterschiedliche Menschen gemeinsam diese Worte sprechen, dann ist das sehr ermutigend und verheißungsvoll. Es ist das Gebet, das uns Christen alle miteinander verbindet: Evangelische und Katholische, Orthodoxe und Anglikanische. Für die meisten von uns sind die Worte des Vaterunsers vertraut seit Kindertagen, in unzähligen Gottesdiensten gebetet. Bei besonderen und alltäglichen Ereignissen. Allein und in der Gemeinschaft. Das Vaterunser ist, denke ich, so für viele zu einem Schatz gewachsen, dessen Worte in vielen Situationen Halt geben können, die uns jeden Tag auf neue Weise gut tun können. Es wäre völlig missverstanden, das Vaterunser als Strafe oder als Bußleistung wie bei Don Camillo zu sehen. Jesus hat sie uns um unseretwillen gegeben - nicht für Gott.  Gott weiß ja schon vorher, was wir brauchen - und doch ist es gut und wichtig, darum zu bitten.
Ich möchte das mit einer kleinen Geschichte verdeutlichen: Es war einmal eine Spinne, die saß unter einem Gebüsch und hatte sich tagsüber ein herrliches Spinnennetz gewoben. Das Netz war ihr gut gelungen, sie würde gute Beute damit machen. Am Abend, als sie dann nochmals an ihrem Meisterstück zur Kontrolle entlang krabbelte, da entdeckte sie einen Faden, der nach oben ins Gebüsch führte. Der stört das schöne Gesamtbild! - dachte sich die Spinne und biss den Faden durch. Und was geschah? Das ganze Netz fiel in sich zusammen und begrub die Spinne unter sich. Sie wurde eine Gefangene ihres eigenen Meisterwerkes!           
     
Liebe Gemeinde, diese Geschichte ist ganz im Sinne Jesu: Wir Menschen brauchen diesen Faden nach oben, wir brauchen das Gebet zum Vater, um nicht in unseren eigenen Netzen gefangen zu sein. Wir brauchen den Draht nach oben, um nicht nur um uns selbst zu kreisen, um unserem Leben einen Halt zu geben, um es nicht abgleiten zu lassen. Jesus sagt: Nicht Gott braucht das Gebet, sondern wir brauchen es, um mit ihm in Verbindung zu bleiben. Um es modern auszudrücken: Ruf doch mal an - und du wirst sehen: Gott ist immer online. Gott hat Zeit für dich. Doch den Anfang dazu, den musst du schon selber machen. Es ist wie beim Reden mit einem guten Freund, einer guten Freundin. Es gilt in Verbindung zu bleiben, sonst wird das aufgebaute Vertrauen brüchig. Wenn ich mich Monate oder Jahre lang nicht melde, dann brauche ich mich nicht zu wundern, wenn die Freundschaft einschläft. Dennoch kann ich versuchen, nach einer langen Sendepause den Kontakt wieder aufzunehmen. Manchmal gelingt das, manchmal nicht. Bei Gott aber kann ich mir sicher sein: Er wird uns hören, auch nach einer längeren Zeit des Schweigens.
Und dabei müssen wir nicht einmal originell sein. Das zeigt uns die schlichte Form des Vaterunsers. Es kommt vielmehr drauf an, ehrlich und aufrichtig zu sagen, was uns auf der Seele brennt auch dann, wenn uns die richtigen Worte fehlen und wir nur noch seufzen können. Wir dürfen gewiss sein, dass Gott uns hört, denn er sieht in unser Herz und weiß, wie wir es meinen. Eine Hilfe fürs Beten können auch besondere Orte sein, das haben die letzten Wochen deutlich gezeigt. Viele Menschen haben unsere Kirche aufgesucht, um hier eine Kerze anzuzünden und vor Gott still zu werden. Mich hat beeindruckt, wie viele unser Angebot der offenen Kirche angenommen haben. Es ist offensichtlich, dass es gut tut, hier in der Kirche zu beten. Die Atmosphäre eines solches Raumes kann helfen und tragen. Sie verbindet uns mit den vielen, die vor uns hier gebetet haben und die nach uns hier beten werden. Ja, liebe Gemeinde, Gott hört auf unser Gebet und er reagiert auf seine Weise. Manchmal ganz anders, als wir es erbitten und erwarten. Aber davon bin ich fest überzeugt: Gott erhört alle unsere Gebete und er reagiert darauf! Obwohl er schon weiß, was wir nötig haben, wartet er auf das Gespräch mit uns als ein Zeichen, dass wir zu ihm gehören, dass wir mit ihm reden, wie mit einem guten Freund.
So will er dabei sein in unserem Alltag, bei dem, was uns umtreibt und beschäftigt. Er will uns spüren lassen: Ich bin da für euch. Wer betet, der ist nicht allein! Irgendwo auf dieser Erdkugel wird immer ein Vaterunser gebetet. In jeder Sekunde. Und wer selbst betet, der stellt sich hinein in diesen Gebetsstrom der weltweiten Christenheit und der bekennt sich zu dem, der den Erdball längst umkreist, hat bevor sich dieses Virus ausgebreitet hat.
Wer betet, bekennt sich zu dem, der schon lange vor der Pandemie da war, da ist und da sein wird als der auferstandene Herr, der das Leben will und nicht den Tod.
 
Darum: Rogate: Betet!
 
nach oben