Gottesdienste im Juni 2020





Gottesdienst für den 3. Sonntag nach Trinitatis, 28. Juni 2020
Pfarrer Jochen Maier

 

Wochenspruch: "Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist."
Lk 19,10
Predigttext: Micha 7,18-20

 

„Du wirst Jakob die Treue halten“ so heißt es im letzten Satz dieses Prophetenwortes. Bis zu jenem sonderbaren Traum, den wir ja hier am Aufgang zu unserer Kanzel dargestellt haben, bis dahin scheint sich Jakob gar nicht besonders für Gott interessiert zu haben. Für den Segen schon, der war ihm wichtig, aber weniger der Segen Gottes, sondern der Segen seines Vaters Isaak.
 
Den hatte er sich ja mithilfe seiner Mutter Rebekka ziemlich raffiniert erschlichen. Wir kennen die Geschichte. Er hatte sich als seinen Bruder Esau ausgegeben, hat sich verkleidet, die Stimme verstellt und den blinden Vater getäuscht. Als die Sache dann aufgeflogen war, musste Jakob vor seinem Bruder Hals über Kopf fliehen. Esau fand das gar nicht lustig, sondern hat Jakob nach dem Leben getrachtet. Schließlich war das nicht der erste Streich. Schon zuvor hatte Jakob ihm mit einem Linsengericht schon das Erstgeburtsrecht abgekauft. Es sah nicht so aus, als hätte dieser Jakob wegen alledem ein besonders schlechtes Gewissen. Wenn sein Bruder so blöd war, bitteschön!
Man kann also wirklich nicht sagen, dass Jakob ein besonders gottesfürchtiger und rechtschaffener Mensch gewesen war – bis zu jener Nacht auf der Flucht, als er einen besonderen Traum hatte, in dem Gott ihm erschien, jenen Traum, in dem Boten Gottes auf einer Himmelsleiter auf und niederstiegen. Auch das sehen wir ja bildhaft hier auf dem Kanzelaufgang.
„Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld.“ Der heutige Sonntag steht ganz im Zeichen der Barmherzigkeit Gottes. Der Psalm 103, den wir gebetet haben, spricht davon: Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, der dir alle deine Sünden vergibt… barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.
Im Evangelium haben wir von einem Vater gehört, der seinen untreuen und im Leben gescheiterten verlorenen Sohn wieder aufnimmt, ohne Vorwürfe einfach nur dankbar, ihn wiederzuhaben. So ist Gott, sagt Jesus mit dieser Geschichte.
Und der Prophet Micha ruft ganz begeistert: Wo ist ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld... der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade!  
Gnade und Barmherzigkeit – das sind so etwas wie Markenzeichen Gottes. So erzählt es uns die Bibel immer wieder und das war es ja auch, was Luther als seine reformatorische Erkenntnis immer wieder betont hat.
Aber: Täusche ich mich oder ist es nicht tatsächlich so, dass diese Botschaft vom gnädigen Gott bei uns keine großen Begeisterungswellen mehr auslösen kann so wie einst beim Propheten Micha oder bei Martin Luther?
Dass Gott gnädig ist, das erscheint uns selbstverständlich. Ein strafender Gott ist aus dem Blick geraten. Gott als strafender und gerechter Richter hat abgedankt. Die Stelle des obersten Richters ist lange schon vakant und sie wird auch nicht wieder besetzt.
Nicht dass es bei uns keine Schuld, kein Versagen, keine Sünde mehr gäbe, aber die Schulfrage regeln wir ganz diesseitig, ganz unter uns.
Es ist gar noch nicht so lange her, da wurde von den Kanzeln mit Hölle und Fegefeuer gedroht. Siechen und Seuchen, Unwetter und Hagel, Sturm und Feuersbrunst galten als Strafen Gottes und die Hölle drohte für ewige Strafen.
Aber in modernen Zeiten ist die Hölle geschlossen und leer und mit dem meisten anderen Unheil straft nicht Gott den Menschen, sondern der Mensch straft sich selbst.
Dürren und Hochwasser sind ja nicht zuletzt Folgen des menschlichen Raubbaus an der Natur. An den jüngsten Corona-Ausbrüchen in Gütersloh und Co. sind ja wohl nicht die osteuropäischen Arbeiter Schuld sondern wir, die wir billiges Fleisch kaufen wollen. Die Sünden strafen sich selbst, der Mensch ist sein eigener Richter. Was nützt uns da Gottes Barmherzigkeit? Was ändert seine Güte?
Schauen wir noch einmal auf Jakob!
Jakob träumt. Er träumt von Gott. Im Traum sieht er eine Treppe, eine Himmelsleiter, auf der Engel, Gottesboten auf- und absteigen. Es sind eben Gottesboten, keine Gerichtsboten. Denn Gott hält ihm keine Strafpredigt, sondern sagt, er wolle ihm Land geben und viele Nachkommen. Ja noch mehr: Er, Gott, werde ihn begleiten und behüten und beschützen!
Eben diesem Jakob, diesem Betrüger, der sich bisher durchs Leben gemogelt hat, der für Gott nichts übrig hatte, der gar nicht weiß, was Treue ist, dem hält Gott die Treue.
Und genau das hinterlässt bei Jakob tiefe Spuren: Er erwacht aus dem Traum und erschrickt: „Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!“ So bekennt Jakob. Und nach dieser Nacht ist Jakob ein anderer. Die Begegnung mit dem gnädigen Gott hat ihn verändert.
Ja liebe Gemeinde: Es ist nicht der oberste gerechte Richter, der uns Ehrfurcht gebietet, es ist der gnädige Gott, der unseren Respekt gewinnt. Er, der trotz unseren Ausflüchten und Ausreden an unserer Seite bleibt, und uns nicht fallen lässt.
Wir leben nicht mehr im Mittelalter in ständiger Furcht vor dem strafenden Gott, in Angst und Zittern vor Hölle, Tod und Teufel. Wir leben eher wie Jakob. Wir mogeln uns durchs Leben und wenn wir mit einem nicht rechnen, dann doch damit, dass Gott kommt und uns überschüttet mit Gnade und Barmherzigkeit.
So vieles haben wir uns selbst eingebrockt. Kriege, Not, Pandemien. Das sind letztlich unsere Verfehlungen und nicht Strafen Gottes. Und trotzdem bleibt Gott gnädig. Trotzdem hat seine Geduld noch kein Ende. Trotzdem überlässt er diese Welt nicht sich selbst. Trotzdem überlässt er uns Menschen, uns, seine widerspenstigen Geschöpfe nicht uns selbst.
„Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind … der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade!
Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast.“
Darum: Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit, der Bund und Treue hält ewiglich und nicht preisgibt das Werk seiner Hände.

AMEN

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Gottesdienst für den 2. Sonntag nach Trinitatis, 21. Juni 2020
Pfarrer Jochen Maier

 

Wochenspruch:
"Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken."
Mt 11,28
Predigttext: Matthäus 11,25-30

 

Liebe Gemeinde,

einen Teil des Predigtwortes für diesen Sonntag haben wir heute sogar optisch vor Augen – nämlich hier vorne auf dem wunderschönen grünen Parament am Altar.
Ich habe leider noch nicht herausgefunden, wie alt dieses Parament schon ist, aber es scheint doch das wertvollste zu sein, das wir haben und seit vielen Generationen lädt es mit den Worten Jesu ein:
„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“  
Wenn ich eine Rangliste der Jesusworte aufstellen sollte, die mich besonders ansprechen, dann stünde dieser sogenannte „Heilandsruf“ ziemlich weit oben. Hören wir den ganzen Abschnitt:
Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart.
Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen.
Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.
Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. Amen
Soweit dieser Abschnitt aus dem Matthäusevangelium Kapitel 11.
Das ist ein sehr berührendes Wort, einfühlsam und tröstlich, eine freundliche und warmherzige Einladung. Jesus lädt uns alle ein, in seiner Nähe, bei ihm Ruhe zu finden, Ruhe und Frieden.
Er lädt uns ein, abzulegen, was uns belastet, was wir mit uns herumschleppen, was uns umtreibt.
Das Gefühl, eine Last mitzuschleppen, manchmal überfordert zu sein, sozusagen „reif für die Insel“ zu sein, – das kennen wohl die meisten von uns. Den Wunsch, den Stress des Alltags und die Verantwortung für dies und jenes einmal hinter sich lassen zu können, den haben sicher viele. Die Sehnsucht nach einer Auszeit, in der man aufatmen und Kraft schöpfen kann, nicht an Corona und all die anderen großen und kleinen Sorgen des Alltags denken zu müssen – diese Sehnsucht dürfte wohl jeder und jede von uns von Zeit zu Zeit spüren.
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“
Mir tut diese Einladung Jesu gut.
Und ich frage mich: Wie kann ich diese Einladung weitergeben? Wie können Menschen denn heute erleben, dass dieser Satz wirklich wahr ist, dass das stimmt – damals vor vielen Jahren, als jemand das auf unser schönes Parament gestickt hat ebenso wie heute im Corona-Jahr 2020? Wie können Menschen sich heute von dieser Einladung Jesu, bei ihm auszuruhen, angesprochen fühlen?
Ich glaube, dass uns da drei biblische Personen auf die Spur bringen können. Drei biblische Personen, die jeweils einen hilfreichen Tipp haben für uns: Die erste davon ist der Jünger Jakobus.
Den hat Jesus zusammen mit Petrus und Johannes beiseite genommen und auf einen Berg geführt: „Geht an einen einsamen Ort und ruht ein wenig!“ So fordert Jesus dir drei auf, als sie erschöpft von einer Missionsreise zurückkehren. Jesus weiß: Wir brauchen immer wieder Oasen der Ruhe und der Besinnung. Der Mensch braucht Zeiten der Ruhe, braucht Auszeiten, um wieder auftanken zu können.  Nicht umsonst heißt es ja schon im 2. Buch Mose: „Sechs Tage hindurch magst du arbeiten, aber am siebenten Tage sollst du ruhen.“ Natürlich weiß ich, dass es für die Obstbauern und Winzer in der Ernte oder Lese kaum möglich ist, einen Tag frei zu machen. Aber das Jahr besteht ja nicht nur auf Ernte und Weinlese! Und Kirchen und Kapellen sind solche besonderen Orte, die es uns leichter machen, ruhig zu werden. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen gerade jetzt im Sommer die Woche über – und besonders natürlich an schönen Wochenenden hierher in unsere Kirche kommen. Immer wieder werden Kerzen angezündet, setzen sich Leute einfach still in eine Bank und sie spüren: Das tut mir gut, solch eine kleine „Auszeit“ mitten im Alltag. Das ist ein Ort an dem ich mein manchmal gehetztes Leben hinter mir lassen und in der Nähe Jesu zur Ruhe kommen kann.
Das ist der Tipp, den Jakobus uns geben kann.
Und dann ist da Maria, die Schwester der Marta, wir kennen ihre Geschichte. Jesus war ja bei den beiden Frauen zu Besuch und währen Marta geschafft und gewerkelt hat, saß Maria einfach still zu Jesu Füßen und hat ihm zugehört. Marta hat sich darüber aufgeregt, hat versucht, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen. Aber Maria hat das ausgehalten. Wenn Jesus zu Gast ist, dann ist etwas anderes dran als in der Küche zu stehen. Dann ist es Zeit, zuzuhören und nicht herumzuwerkeln. Manchmal braucht es Mut, sich aus den Zwängen des Alltags zu verabschieden. Natürlich gäbe es immer auch etwas anderes zu tun. Es ist verführerisch zu sagen: Für Gott und Kirche, da habe ich Zeit, wenn ich alt bin. Maria kann uns lehren, die Zeiten, den Kairos, nicht zu verpassen, in denen wir aufnahmebereit sind für das Wort, das uns Orientierung geben und weiterbringen kann. Maria lehrt uns, uns diese Zeit zu nehmen, zu erkennen, wann das dran ist und anderes auch mal liegen zu lassen.
Und zuletzt ist da der Apostel Paulus, der einen letzten Hinweis für uns bereit hält, einen Hinweis darauf, wie wir heute zur Ruhe finden können. Er spricht z.B. am Ende des Römerbriefs im vorletzten Kapitel (Rm 15,31) von der Gemeinschaft, die er mit der Gemeinde in Rom erleben will. Menschen, die miteinander und füreinander beten, die einander annehmen, wie sie sind. Ruhe in der Gemeinschaft, das rät uns Paulus – so wie hoffentlich hier im Gottesdienst.
Wenn wir das zumindest ein Stück weit erleben und erfahren, dann sind wir auf einem guten Weg. Christlicher Glaube braucht Gemeinschaft, braucht Menschen, bei denen ich mich geborgen fühle – und an denen ich mich auch mal reiben kann. Eine christliche Gemeinde darf nicht nur an ihren Aktivitäten gemessen werden, daran, dass etwas los ist, dass es viele Angebote gibt, sondern in erster Linie daran, dass er Menschen sind, die sich nach Ruhe sehnen und einer Gemeinschaft, die trägt, die einfach da ist und nicht sofort etwas macht und etwas in die Hand nehmen will. Eine Gemeinschaft, die auch die Stille aushält.
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Unzählige Menschen vor uns und hoffentlich auch noch viel nach uns haben und werden das hier in unserer schönen St. Bartholomäuskirche erfahren. Ich stelle mir vor, in was für unterschiedlichen Situationen, Menschen schon hierher in unsere Kirche kamen und sich von diesem Heilandsruf einladen ließen. Während des Krieges, als sie um Männer und Söhne bangten, die im Krieg waren, in den schweren Jahren danach, als Heimatvertrieben hierher kamen, die alles verloren hatten, Menschen, die hier für die Geburt eines Kindes gedankt, die ihre Liebe gefeiert und den Tod lieber Menschenbetrauert haben, Touristen, die hierher in unsere Kirche kamen, die vielleicht lange schon den Draht zum Glauben verloren haben und doch berührt wurden von diesem schönen Ort. Dies soll ein Ort sein, wo ich daheim sein darf, wo ich mich tragen lassen darf vom Geiste Jesu Christi. Wo ich mich von ihm und seinem Wort berühren lassen darf.
Schenke uns Gott, dass dies immer wieder geschieht.

AMEN

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Gottesdienst für den 1. Sonntag nach Trinitatis, 14. Juni 2020
Pfarrerin Irene Maier

 

Wochenspruch:
„Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet,
der verachtet mich.“
Lukas 10,16a
Predigttext: Apostelgeschichte 4,32-37

 

Liebe Gemeinde,

was für eine Harmonie, die damals in der kleinen christlichen Gemeinde in Jerusalem herrschte! Fast wie eine verschworene Gemeinschaft wirkt sie auf mich. Sie können sich blind aufeinander verlassen. Einer steht für den andern ein. Ganz im Gegensatz zum Leben des reichen Mannes aus dem Evangelium für diesen Sonntag halten sie nicht fest an dem was sie haben, sondern geben ab und teilen, damit keiner Not leidet.
Wer ein Haus oder einen Acker hat, verkauft es zum Wohl der Ärmeren. Sie haben alles gemeinsam. Da gibt es keine Konkurrenz, keinen Neid auf das, was die Nachbarn haben. Alle sind sich einig, sorgen füreinander und halten zusammen. Ein Herz und eine Seele sind sie. Ja, die gute alte Zeit!
So unglaublich harmonisch wie Lukas die Urgemeinde schildert, ist heute wohl keine einzige Gemeinde auf der Welt.
Daher frag‘ ich mich, ob Lukas hier nicht eher ein Wunschbild, ein Idealbild beschreibt, denn schließlich war er nicht dabei als die Urgemeinde entstand; er hat erst einige Jahrzehnte später aufgeschrieben, was er von anderen gehört hat. Und wenn wir die älteren Paulusbriefe lesen, sehen wir, dass es schon sehr früh handfeste Konflikte in der Urgemeinde gab, z.B in den Gemeinden von Galatien und  Korinth.
„Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“, das kann daher nicht bedeuten, dass sie immer einer Meinung waren, dass sie immer ohne Streit auskamen. Gemeint ist wohl eine andere Art von Harmonie, die hier beschrieben wird, gemeint ist vielmehr ein Leben in Solidarität. So gab es niemanden, der Mangel hatte, jeder bekam, was er zum Leben brauchte. Und das war nur möglich, weil diejenigen, die einen Acker oder ein Haus hatten, dieses verkauft haben und den Erlös den Bedürftigen zur Verfügung stellten. So war das ein ganz praktisches Beispiel dafür, was es heißt „ein Herz und eine Seele sein.“
Eins sein, zusammengehören in der frühsten christlichen Gemeinde zeichnet sich also dadurch aus, dass Menschen wie selbstverständlich füreinander da sind, füreinander eintreten und sich unterstützen mit dem, was sie haben.
Mich beeindruckt diese Selbstverständlichkeit. Wie war das möglich? Von großer Kraft ist die Rede und durch diese wenigen Sätze hindurch wird ein neuer Geist spürbar, der die Menschen damals bewegt hat. Viele von Jesu Anhängern sind nach seiner Auferstehung aus Galiläa nach Jerusalem gekommen um ein neues Leben anzufangen, sie waren erleichtert, dass mit dem Kreuz nicht alles vorbei war.  Sie sind aufgebrochen und haben sich mitreißen lassen. Der Neuanfang hat sie begeistert. Lukas hat ja wenige Kapitel zuvor in der Pfingstgeschichte davon berichtet, davon, wie sie der Geist Gottes ergriffen hat.
Doch Lukas hat wohl auch erlebt, wie schnell die Begeisterung mancherorts abkühlt, sehr früh setzen Anfeindungen von außen ein, Zweifel kommen auf. War das nun alles? Nur ein Hochgefühl? Nur ein vorübergehender Gemütszustand?
Nun wirkt Gottes Geist ja meist im Verborgenen; das Geschehen von Pfingsten, bildet im Leben die Ausnahme. Normalerweise sieht man es jemandem nicht an der Nasenspitze an, ob er vom Geist Gottes berührt worden ist. Die Menschen, von denen unsere Erzählung handelt, waren schlichte Leute: ehemalige Bauern und Fischer aus der Provinz Galiläa, Handwerker und Angestellte aus der Stadt Jerusalem, nur ein paar wenige, die etwas betuchter waren. Geistesgrößen wie die großen griechischen Philosophen oder bedeutende Rabbis waren nicht darunter. Die Begeisterung wurde nicht durch menschlichen Geist entfacht. Sie kommt allein von Gott. Vor ihm sind wir alle gleich.
Worauf es ankommt, ist vielmehr das, was der Geist Gottes bewirkt. Der Geist Gottes ist ein Geist der Liebe. Er führt Menschen dazu, dass sie bereit werden, miteinander zu teilen. Das ist es, was Lukas hier herausstreicht. Und damit stellt er die frühe Gemeinde als Vorbild hin, als Vorbild für gelebte Solidarität. Freilich sieht Solidarität heute oft anders aus als damals, als man noch nicht langfristig geplant hat. So würde man heute einen Acker wohl eher einer Stiftung zukommen lassen statt ihn zu verkaufen.
Lukas will uns mit dieser Geschichte ans Herz legen und sagen: Bleibt dabei. Fallt nicht wieder auf euer Eigeninteresse zurück! Lasst euch weiterhin vom Heiligen Geist Gottes inspirieren und begeistern, damit die Sache Jesu auch in diesen schwieriger gewordenen Zeiten weitergeht! Sicher, das ist leichter gesagt als getan.
Wir könnten auf die diakonischen Einrichtungen unserer Kirche verweisen, die wir unterstützen. Gerne schieben wir so unsere persönliche Verantwortung für den notleidenden Nächsten auf solche Großorganisationen.
Doch es gibt auch viele andere Beispiele in unseren Tagen, Beispiele von Menschen, die ganz konkret ihre Kraft und Zeit mit anderen teilen. Denken wir an junge Leute, die ein freiwilliges soziales Jahr einschalten, bevor sie mit Ausbildung oder Studium beginnen. Denken wir an Menschen, die Flüchtlingen helfen, mit den Behörden zurechtzukommen und Arbeit zu finden. Viele engagieren sich seit der Corona-Zeit  bei verschiedensten Hilfsdiensten. In den USA und bei uns gehen Bürger auf die Straße, um ihre Solidarität mit Farbigen zu bekunden, um für Gerechtigkeit und gegen Rassismus zu demonstrieren.  Bilder von Polizisten sind zu sehen, die auf die Knie gehen , um sich mit Protestierenden zu solidarisieren. Wir hören Politiker, die sich kritisch über die Diskriminierung von Farbigen äußern. Auch das Tragen von Masken hier im Gottesdienst und im öffentlichen Leben ist ein Zeichen von Solidarität, weil wir dadurch in erster Linie nicht uns selber sondern andere schützen.
Das alles sind für mich Beispiele von gelebter Solidarität, die das eigene Interesse hinten anstellen. Es sind viele kleine Schritte, die dem Geist der Liebe Raum geben, Schritte auf dem Weg zu einer gerechteren Welt. Es ist ein langer Weg, doch der Anfang ist gemacht.
Begonnen hat dieser Weg mit der kleinen christlichen Gemeinde in Jerusalem. Sie waren „ein Herz und eine Seele“, sie waren füreinander da. Dieser Geist der Liebe hat ausgestrahlt über Grenzen hinweg, sonst säßen wir heute nicht hier. Gottes Geist wirkt noch heute, er wirkt auch unter uns, darauf vertraue ich.

 

Amen

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