Gottesdienste April - Mai 2022

 

Gottesdienst  
der evang.-luth. Kirchengemeinde Sommerhausen-Eibelstadt
für den Sonntag Exaudi, 29. Mai 2022
Pfarrer Jochen Maier

 

Kirche St. Bartholomäus Sommerhausen
Bildrechte: Pfarrgemeinde Sommerhausen/Eibelstadt
Wochenspruch:
„Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde,
so will ich alle zu mir ziehen." Joh 12,32
Predigttext: Römer 8,26-30

 

Liebe Gemeinde,  
 
Es gibt Situationen, da verschlägt es einem die Sprache, da weiß man nicht, was man sagen soll. Nachrichten im Fernsehen, die einen sprachlos machen so wie vor 3 Monaten die Berichte vom russischen Überfall auf die Ukraine. Oder ein Streit in der Familie oder unter Freunden, du willst vermitteln, aber dir fehlen die Worte, du willst niemanden verletzten, niemanden kränken und hältst daher lieber den Mund.
Wenn das Leben einem die Sprache verschlägt, dann sagt man gar nichts. Aber Schweigen ist ja nicht immer die beste Lösung. Nicht immer ist Schweigen Gold, wie das Sprichwort sagt, manchmal wäre es eine Erlösung, wenn man reden könnte, wenn man die richtigen Worte finden würde.
Warum erzähle ich das? Weil es beim Reden mit Gott, beim Beten ja manchmal auch so ist auch da fehlen einem manchmal die Worte.
Da sagt eine Frau zu mir: Herr Pfarrer, bitte beten sie für mich, ich kann nicht, mir fehlen die Worte.
Dass einem die Worte fehlen, das kann verschiedene Gründe haben. Erich Kästner hat in seinem wunderbaren Kinderbuch vom Doppelten Lottchen erzählt, wie das ist. Da stehen ziemlich am Ende dieser turbulenten Geschichte die beiden Zwillinge Lotte und Luise vor der Tür, hinter der ihre geschiedenen Eltern sich zu versöhnen versuchen. 
„Daumen halten!“ flüstert Luise aufgeregt. Vier kleine Daumen werden von vier kleinen Händen umklammert und gedrückt. Auf einmal bewegt Lotte die Lippen. „Betest Du?“ fragt Luise erstaunt. 

Lotte nickt. Da fängt auch Luise an, die Lippen zu bewegen. „Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast…“ Dann bricht sie ab. „Es passt nicht“, flüstert sie entmutigt. „Aber mir fällt nichts anderes ein.“  
Luise will beten, will Gott bitten, dass die Eltern wieder zusammenkommen, dass Gott ihnen hilft, sich zu versöhnen, aber ihr fehlen die Worte.
Manchmal weiß man nicht, was man sagen soll und wie man es sagen soll. Auch beim Beten. „Ich würde ja so gerne beten, sagt der schwer kranke Mann im Krankenhaus. Aber ich habe das so lange nicht mehr getan. Da kann ich doch jetzt nicht damit anfangen.“  
Und auch die, die das Beten gewohnt sind, wissen manchmal nicht, wie sie beten sollen: Manch einer schämt sich regelrecht vor Gott: Darf ich da kommen mit all dem Mist, den ich zum Teil selbst verbockt habe? Und wenn ich eigentlich gar nicht weiß, wo eigentlich das Problem liegt, was soll ich da beten?
Anscheinende kannte das sogar der Apostel Paulus selbst, dass Menschen gerne beten würden und nicht wissen wie. Selbst er, der große Apostel, kannte das, dass einem manchmal die Worte fehlen.
 
Hören wir einen Abschnitt aus dem Römerbrief, Römer 8,26-31:
Der Geist Gottes steht uns da bei, wo wir selbst unfähig sind. Wir wissen ja nicht einmal, was wir beten sollen. Und wir wissen auch nicht, wie wir unser Gebet in angemessener Weise vor Gott bringen. Doch der Geist selbst tritt mit Flehen und Seufzen für uns ein. Dies geschieht in einer Weise, die nicht in Worte zu fassen ist.
Aber Gott weiß ja, was in unseren Herzen vorgeht. Er versteht, worum es dem Geist geht. Denn der Geist tritt vor Gott für die Heiligen ein.
Wir wissen aber: Denen, die Gott lieben, dient alles zum Guten. Es sind die Menschen, die er nach seinem Plan berufen hat.
Die hat er schon im Vorhinein ausgewählt. Im Voraus hat er sie dazu bestimmt, nach dem Bild seines Sohnes neu gestaltet zu werden. Denn der sollte der Erstgeborene unter vielen Brüdern und Schwestern sein.
Wen Gott so im Voraus bestimmt hat, den hat er auch berufen. Und wen er berufen hat, den hat er auch für gerecht erklärt. Und wen er für gerecht erklärt hat, dem hat er auch Anteil an seiner Herrlichkeit gegeben. 
Soweit Paulus. Nun, was rät er denen, die nicht wissen, wie und was sie beten sollen?

Drei Dinge fallen mir auf:
 
Der erste Punkt: Gottes Geist hilft, wo wir Menschen zu schwach sind zum Beten. Das heißt doch: Auch wenn da nur die Sehnsucht da ist: Ja ich würde gerne beten. Auch wenn da nur dieser Schrei nach Hilfe ist, ein Seufzen und ich keine Worte dafür finde. Gott hört es. Er sieht mich und meinen Kummer, das was mich belastet und er schickt keinen weg. Gott ist nicht wie der beleidigte Freund, der sagt: „So lange hast du dich nicht gemeldet und jetzt, wo du Hilfe brauchst, da soll ich springen?“  Gottes Geist hilft denen auf, die zu schwach sind zum Beten.
Christoph Schlingensief, der an Krebs erkrankte und letztlich daran auch verstorbene Regisseur, der hat in seinem Buch „Tagebuch einer Krebserkrankung“ erzählt: „Vor ein paar Tagen war ich in der Kapelle… Da habe ich geredet, ganz leise vor mich hingeredet, obwohl niemand anderes da war. Habe gefragt, wie ich wieder Kontakt herstellen kann und wie ich begreifen kann, dass das jetzt Bestandteil vom Leben ist… Nach einer Zeit hat mir jemand einfach die Stimme abgeschaltet. Ich bin still geworden und habe hoch geguckt, da hing das Kreuz und in dem Moment hatte ich ein warmes, wunderbares, wohliges Gefühl. Ich war plötzlich jemand, der sagt: Halt einfach die Klappe, sei still, es ist gut, es ist gut.“ (So schön wie hier… S. 24)
Liebe Gemeinde, so ungefähr stelle ich es mir das vor, wenn wir nicht wissen, wie und was wir beten sollen, und der Geist unserer Schwachheit aufhilft. Manchmal, glaube ich, braucht Gottes Geist dazu aber auch andere Menschen. Menschen die andere zum Beten ermutigen und Menschen, die für andere beten. Manchmal braucht Gottes Geist die, die sagen: Ich bete für dich! Ich habe noch nie erlebt, dass jemand, das nicht haben wollte. Aber ich habe schon öfters erlebt, dass jemand gesagt hat: „Ich kann nicht an Gott glauben, aber wenn Sie für mich beten, dann ist das gut.“

Und der zweite Punkt, der mir in unserem Pauluswort auffällt: Der Apostel erinnert die, die zu schwach sind zum Beten, an Jesus Christus. Als Jesus selbst ganz am Ende war und schon keine Kraft mehr hatte, da hat er gebetet: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Selbst Jesus fühlte sich vom Vater verlassen und das hat er ihm entgegen geschrien. Nicht immer ist Schweigen Gold, manchmal tut es gut, das was einen belastet, seine Enttäuschung, seine Vorwürfe herauszulassen. Manchmal hilft es, auch Gott Vorwürfe zu machen, ihm zu klagen.
Vielleicht hat Jesus da die alten Worte des 22. Psalms verwendet, weil er zu schwach war für eigene Worte. So wie Erich Kästners Luise an der Wohnzimmertür, die die Anspannung nicht mehr aushält, aber der nur ein Tischgebet einfällt.
Die Erinnerung an Jesu verzweifeltes: „Warum hast du mich verlassen, Gott?“, die sagt mir auch: Jesus konnte den Vater damals nicht spüren. Und doch war er da, ist bei ihm geblieben, als alle meinten, nun sei alles zu Ende. Und doch war dieses Ende der Anfang. Das ist unser Glaube. Gott ist auch und gerade bei denen, die schwach sind und keine Hoffnung mehr haben.

Und der dritte Punkt: „Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen.“ Das ist wahrhaftig kein Satz, den man denen weitergeben kann, die verzweifelt und am Ende sind. Das wäre ja Hohn, denen zu sagen: Es ist bestimmt gut für dich! Oder: Es wird schon für etwas gut sein! So einen Satz kann man immer nur für sich selber sagen und dann wahrscheinlich auch nur hinterher, wenn es überstanden und wenn ich – vielleicht erst nach langer Zeit! – erkennen, wozu es vielleicht tatsächlich gut war. Bei manchen kann ich es nicht sagen, bei großen Schicksalsschlägen, in denen ich keinen Sinn sehen kann und ich kann nur darauf hoffen, dass Gott ihn mir irgendwann, vielleicht erst im Jenseits, erschließt.
Aber hier und jetzt und heute, da kann ich das nicht für einen anderen sagen: „Denen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen.“ Aber vielleicht, vielleicht kann ich ihm davon erzählen, dass ich das schon so erlebt habe, dass manches, was mir widerfahren ist, im Rückblick einen Sinn ergeben kann. Und dass ich deshalb davon ausgehe, dass Gott es gut meint – mit mir und allen seinen Geschöpfen, auch wenn ich jetzt vieles noch nicht verstehe. Vielleicht kann man dann anders beten, so wie Jesus es ja auch getan hat: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“
Und was mir immer eine große Hilfe ist, das ist so zu beten, wie Jesus es uns gelehrt hat, das Vaterunser. Fertige Worte, in denen alles drinsteckt und in die ich alles hineingeben kann. So bleibt man im Gespräch. So reißt die Beziehung nicht ab. Und den Rest macht dann, auch in schlimmen Zeiten, Gottes Heiliger Geist. Irgendwann kommen dann auch die anderen Worte wieder, die, die eine Erlösung sind.

So sei es.

AMEN
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Gottesdienst  
der evang.-luth. Kirchengemeinde Sommerhausen-Eibelstadt
für den Sonntag Kantate, 15. Mai 2022
Pfarrer Jochen Maier

 

Orgel
Bildrechte: Pfarrgemeinde Sommerhausen/Eibelstadt
Wochenspruch:
"Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder." Ps 98,1
Predigttext: Kolosser 3,12-17


 

Liebe Gemeinde,   

„Sag mal, passt das, kann ich das anziehen?“ so frage ich fast immer meine Frau, wenn ich irgendeine Sitzung oder einen wichtigen Termin habe und ein Jackett aus dem Schrank ziehe.
Ich verlasse mich da total auf ihren Geschmack, verlass mich darauf, dass das Hemd farblich zu Hose und zum Sakko passt. Ich geb’s zu, ich liege da manchmal ziemlich daneben!
Wer sich neu einkleiden möchte, der ist in der Regel dankbar, wenn er gut beraten wird, wenn es da freundliche Verkäuferinnen oder Verkäufer gibt, die einen beraten. Aber wenn die ihre Sachen zu sehr anpreisen, dann werde ich skeptisch: „Also das sitzt ja wie angegossen, wie für Sie gemacht, einfach einmalig…!“ Da werde ich vorsichtig! Da denke ich mir: „Denen geht es ja gar nicht darum, dass ich etwas finde, was zu mir passt, die wollen ja nur verkaufen!“ Wirklich gut beraten zu werden, das aber ist eine feine Sache.
Auch in unserem heutigen Predigtwort geht es um eine Art von Kleidung. Und kein Geringerer als der Apostel Paulus selbst, will uns da in Kleidungsfragenberatend zur Seite stehen. Er nimmt uns an der Hand und behauptet zu wissen, was uns steht. Er sagt uns, was wir anziehen sollen.
 
Hören wir Verse aus dem Kolosserbrief, Kol 3,12-17:  
So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!
Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.
Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid bin einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.
Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.
Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Nun, liebe Gemeinde, wie sieht es aus: Passt uns das, was uns der Apostel da empfiehlt? Oder schnürt uns das womöglich den Hals ein, wo wir doch gerade heute, am Singesonntag „Kantate“ aus voller Kehle jubilieren sollen zur Ehe Gottes?
Kleider, die zu eng sind, die zieht man so schnell wie möglich wieder aus. Wer es nicht gewöhnt ist, Krawatten zu tragen, der sehnt sich danach, den Knoten so schnell wie möglich wieder zu lockern. Er fühlt sich sonst eingezwängt und beengt.
Wie sieht es da aus mit der Kleiderordnung, die Paulus uns empfiehlt: Herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, sich gegenseitig ertragen, Vergebung und über allem die Liebe als Band der Vollkommenheit?
Was ist darunter eigentlich zu verstehen? Ich versuche, das einmal durchzubuchstabieren:
Herzliches Erbarmen – das ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit und Kälte und das bleibt ein ganz zentraler Auftrag für unser tägliches Christsein und es ist beeindruckend, was da bei uns vorhanden ist an solchem herzlichen Erbarmen: welche Spendenbereitschaft derzeit bei uns herrscht– egal ob nun Christen oder Nichtchristen -  Spendenbereitschaft für die Menschen in und aus der Ukraine. 
Freundlichkeit – in den Sprüchen Salomos heißt es: „Gram im Herzen eines Mannes beugt ihn nieder, ein freundliches Wort macht ihn wieder froh (Sprüche 12,25).“ Freundliche Menschen haben etwas Liebenswertes an sich, Freundlichkeit kann unser ganzes Umfeld verändern, weil sie ansteckend ist! In ein freundliches Gesicht zu schauen, tut einfach gut.
Demut – das scheint nun weit weniger verbreitet, als Erbarmen und Freundlichkeit. Demut klingt nicht sehr attraktiv. Demut hat aber nichts mit Kriechertum oder Unterwürfigkeit zu tun, sondern Demut hat mit Mut zu tun. Das bedeutet: Ich brauche mich nicht aufzuspielen, sondern ich erkenne, dass Gott der Schöpfer ist und wir seine Geschöpfe. Demut passt nicht zu Großmannssucht und dazu, sich immer selbst ins richtige Licht zu rücken, selbst immer im Mittelpunkt stehen zu müssen. Demut hat mit Bescheidenheit zu tun.
Sanftmut – der Sanftmütige ist kein Softi, sondern einer, der gütig ist und milde, der nicht aufbraust und die Selbstkontrolle verliert. Sanftmut will gelernt sein und sie hat ein großes Vorbild, nämlich Jesus Christus selbst.  
Geduld – „Nur Geduld“ sagen wir, wenn sich Hektik und Unruhe ausbreiten. Ständig wird uns Geduld abverlangt – wenn wir in der telefonischen Warteschleife bei der Telekom stecken oder mit der Bahn unterwegs sind. Richtig schwer aber wird es, wenn es um Krankheit und Schmerzen geht und die Ärztin sagt: „Da brauchen Sie Geduld!“ Von Gott heißt es in der Bibel, dass er mit uns Menschen Geduld hat. Der Psalmbeter ruft uns zu: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte!“
Und schließlich die Vergebungsbereitschaft: Nur wer anderen und sich selbst vergeben kann, nur der gewinnt den freien Blick nach vorne. Es tut gut, auch da auf Jesus zu schauen: So wie er mit mir umgeht, soll ich mit anderen umgehen.
Ja, liebe Gemeinde: Herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und sich gegenseitig vergeben – diese Tugenden sollen Kennzeichen eines christlichen Lebens sein und nicht ohne Grund werden diese Worte auch oft bei Traugottesdiensten in der Schriftlesung gelesen.
 
Aber passt das auch? Oder bleibt einem da schon beim Zuhören die Luft weg?
Nun: Eines ist ganz wichtig: der göttliche Schneidermeister kennt uns besser, als wir uns selbst. Er weiß wirklich, was uns steht.
Ich selbst besitze nur ein einziges handgeschneidertes Gewand und das ist dieser Talar hier. Aber wer einem Schneider, einer Schneiderin über die Schultern schaut, der weiß, dass die normalerweise mit dem Stoff nicht knausern. An den Nähten lässt der Schneider innen noch etwas mehr stehen, so dass man die Hose oder die Jacke gegebenenfalls etwas herauslassen und weiter machen kann.
Und so ist das bei dem Gewand, das Paulus uns anpasst, mit dem Gürtel, mit dem „Band der Vollkommenheit“ wie er es nennt. Das ist die Liebe. Sie ist die größte, die höchste unter den Tugenden. Dieses Band der Vollkommenheit lässt den Spielraum, den ich brauche, um durchatmen zu können. Diese Liebe sorgt dafür, dass alles passt.  
Zu eng dürfen die Kleider nicht sein, sonst schnüren sie uns ein, zu weit aber auch nicht, sonst hängen sie wie Lumpen an einem herab und man verliert sie womöglich.
Die Liebe passt sich an, sie sorgt für den richtigen Sitz.
Wo keine Liebe ist, da ist auch kein Blick für den anderen, da wird der Glaube kalt, da wird er zur Pflichterfüllung. Da wird das Erbarmen zur Herablassung, die Freundlichkeit zur Überheblichkeit und die Demut zum Kriechertum. Die Liebe ist das, was Leib und Seele, was die Kleiderordnung zusammenhält.  
Und trotzdem ist es immer wieder neu eine Herausforderung, sich in diesen Tugenden zu bewähren, die Paulus da nennt und oft genug sind es ja gerade die kleinen Herausforderungen im Alltag, die einen straucheln lassen.
Da habe ich vor einiger Zeit mal von einem Abenteurer gelesen, der zu Fuß die USA von der Westküste bis zur Ostküste durchwandert hat – rund 4 ½ Tausend Kilometer. Der Weg führte ihn durch Wälder und Wüstengebiete, über Berge und durch Flüsse, er übernachtete im Freien und erlebte Kälte und Hitze, Sonne und Regen. Als ihn dann die Reporter fragten, was denn auf seiner langen Wanderung am schwersten für ihn zu ertragen gewesen wäre, da sagte er zur Überraschung aller: „Es waren nicht die hohen Berge oder die sengende Wüstenhitze, es war der Sand in meinen Schuhen.“
Das ist es, liebe Gemeinde, was uns manchmal das Leben so schwer macht. Es sind die vielen kleinen Dinge, die uns gefangen nahmen. Die Missverständnisse zu Hause, die Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz oder im Verein. Es ist der Sand in unseren Schuhen, der uns piesackt, der viele mürrisch werden lässt und ihnen die Gelassenheit raubt, getrost und zuversichtlich durch ihre Tage zu gehen.
Umso wichtiger ist es, den langen Atmen zu behalten, sich immer neu mit Herz und Verstand zu öffnen für Jesus Christus. Ihm in unserem Leben Raum und Zeit zu schenken.  Sein Wort „reichlich unter uns wohnen zu lassen“, wie Paulus es formuliert.  
Sich ihm anzuvertrauen in den starken Stunden und den Stunden, die uns Angst und Sorge bereiten. Darum geht es. Das lasst uns immer wieder neu einüben. Gott lässt uns ganz gewiss nicht im Stich.  
 
AMEN

 

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Gottesdienst
der evang.-luth. Kirchengemeinde Sommerhausen-Eibelstadt
für Sonntag Jubilate, den 8. Mai 2022
Pfarrerin Irene Maier

 
Kirche St. Bartholomäus Sommerhausen
Bildrechte: Pfarrgemeinde Sommerhausen/Eibelstadt
Wochenspruch:
„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur;
das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden.“
(2. Kor 5,17)

 

 

"Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig. Jede glänzende Tannennadel, jeder sandige Küstenstreifen. Jeder Nebel in den dunklen Wäldern jedes summende Insekt ist heilig in der Erinnerung und der Erfahrung meines Volkes...
Wir sind Teil der Erde und sie ist ein Teil von uns...
Die Luft ist dem Roten Mann wertvoll, denn alle Dinge Teilen denselben Atem...
Der Wind, der unserem Großvater seinen ersten Atemzug gab, empfängt auch seinen letzten Seufzer. Und der Wind muß auch unseren Kindern den Geist des Lebens geben...
Eines wissen wir. Die Erde gehört nicht dem Menschen; der Mensch gehört zu der Erde. Alle Dinge sind miteinander verknüpft, wie das Blut, das eine Familie eint. ... Der Mensch hat das Netz des Lebens nicht geknüpft, er ist kaum ein Faden darin..."

 

Liebe Gemeinde, diese Worte, die ich da gelesen habe, die hat ein Mann geschrieben, der eng mit der Natur verbunden war. Sie lassen sehr viel Ehrfurcht vor dem Schöpfer und sehr viel Wertschätzung für das Geschaffene erkennen. Der, der das geschrieben hat, der versteht sich als Teil der Schöpfung und ist somit einer, der Verantwortung trägt für seine Mitgeschöpfe, weil er weiß, dass er als Teil der Schöpfung ihr Schicksal teilt.
Diese Worte stammen vom Indianerhäuptling Seattle, gesprochen vor mehr als 150 Jahren. Das war die Zeit, in der die ersten Lokomotiven durch die amerikanische Prärie dampften, in der aber von unserer heutigen technischen und industriellen Entwicklung ja noch gar nicht zu träumen war.
 
Um die Schöpfung und die besondere Rolle des Menschen in ihr, darum geht es auch in unserem heutigen Predigtwort aus
1. Mose 1,1-4a.26-31; 2,1-4a:
glänzende Tannennadel, jeder sandige Küstenstreifen. Jeder Nebel in den dunklen Wäldern jedes summende Insekt ist heilig in der Erinnerung und der Erfahrung meines Volkes...
Wir sind Teil der Erde und sie ist ein Teil von uns...
Die Luft ist dem Roten Mann wertvoll, denn alle Dinge Teilen denselben Atem...
Der Wind, der unserem Großvater seinen ersten Atemzug gab, empfängt auch seinen letzten Seufzer. Und der Wind muß auch unseren Kindern den Geist des Lebens geben...
Eines wissen wir. Die Erde gehört nicht dem Menschen; der Mensch gehört zu der Erde. Alle Dinge sind miteinander verknüpft, wie das Blut, das eine Familie eint. ... Der Mensch hat das Netz des Lebens nicht geknüpft, er ist kaum ein Faden darin..."
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.  
Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.  
Und Gott sah, dass das Licht gut war.
Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.  
Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.
Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.  
Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.  
Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.
So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer.
Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.
Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.  
So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.


Diese erste Schöpfungserzählung wurde geschrieben in einer Situation, in der viele Israeliten ernsthaft an der Macht Gottes gezweifelt haben. Das Land war militärisch vernichtend geschlagen, politisch waren sie am Boden. Die meisten Israeliten waren deportiert worden. Man hatte sie als Gefangene nach Babylon geführt und viele fragten sich: Hat Gott sein Volk denn nicht schützen wollen oder ist es denkbar, dass er es gar nicht schützen konnte? Ist Gott denn machtlos? Warum sonst hätte er uns so im Stich gelassen?  
Die Israeliten sahen rund herum die mächtigen Tempel der babylonischen Götter - doch von ihrem Gott sahen sie nichts!
In diese zweifelnden Fragen hinein legt die Erzählung von der Erschaffung der Welt ein Bekenntnis ab zu Gott als dem Schöpfer und Herrn des gesamten Kosmos.
Gott ist nicht einfach nur der Gott Israels, nein, er ist der einzige Gott. Es gibt keinen anderen. Er ist Herr über alles. Neben ihm gibt es keine anderen Götter. Er ist es, der Himmel und Erde gemacht hat.
Liebe Gemeinde: Hier liegt der Kern der Schöpfungsgeschichte. Sie ist kein Tagebuchbericht zur Weltgeschichte, kein historisches Protokoll und will es auch gar nicht sein. Hier geht es also nicht darum, wie Gott, die Welt geschaffen hat - da können uns Naturwissenschaftler sehr viel präzisere und klarere Angaben machen, das ist ihre Aufgabe, dafür werden sie bezahlt - in der biblischen Schöpfungserzählung geht es um etwas, was uns eben kein Wissenschaftler erklären kann, nämlich das, warum es diese Welt gibt und dass Gott hinter allem steht, dass diese Erde mit ihren großartigen Wundern eben kein Produkt des Zufalls ist sondern dem Wunsch und Willen Gottes entsprungen ist. Wer kann denn ernsthaft behaupten, dass diese großartige Natur um uns herum, dass die nur zufällig so geworden ist, weil sich nach irgendeinem Urknall zufällig verschiedene Atome so verbunden haben! Für mich ist die Schöpfung, so wie sie ist, immer noch der deutlichste und klarste Hinweis darauf, dass da ein Gott sein muss, der hinter allem steht!
Glaube und Wissenschaft müssen hier keine Gegensätze sein - sie können sich ergänzen, weil sie Antworten geben auf ganz verschiedene Fragen.
Die biblische Schöpfungserzählung ist zuallererst eine Trostgeschichte.  
Sie wurde und wird erzählt, um Menschen zu trösten und aufzurichten. Um sie in ihrer Glaubensnot zu ermutigen: "Vertraut eurem Gott. Vertraut ihm auch in der Not. Denn als Schöpfer von Himmel und Erde ist er auch Anfang und Ende aller Dinge. Darum liegt alles in seiner Hand."
Gott gibt seiner Schöpfung eine gute Ordnung. Er schafft Lebensraum für alle und einen sinnvollen Lebensrhythmus in der Abfolge von Arbeit und Ruhe.
Gott hat die Erde bewohnbar gemacht, hat alles Leben erschaffen und als Schlusspunkt den Menschen.
Hören wir noch einmal die Verse über den sechsten Schöpfungstag: "Und Gott segnete die Menschen und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Tiere. Und Gott sah alles, was er gemacht hatte - und siehe, es war sehr gut."
Am Ende eines jeden Schöpfungstages, an dem Bilanz gezogen wird über das, was Gott geschaffen hat, lautet das Fazit immer gleich: "Und Gott sah, dass es gut war." Aber am Ende des sechsten Tages, des Tages der Erschaffung des Menschen aber, da lautet das Fazit sogar: "Und siehe, es war sehr gut!" Das ist schon bedenkenswert.
Ist denn der Mensch wirklich ein so besonders gelungenes Wesen? Ist denn der Mensch wirklich die Krone der Schöpfung?  
Mich beschleicht da ein ungutes Gefühl, das gebe ich zu. Kein anderes Lebewesen setzt so viel perverse Phantasie daran, seinesgleichen zu quälen, wie Menschen das mit ihresgleichen immer wieder getan haben und immer wieder tun! In unseren Tagen ist das ja überdeutlich!
"... macht euch die Erde untertan!" – Haben wir Menschen diesen Auftrag denn überhaupt verstanden?
Dieses, "macht euch die Erde untertan", das bedeutet doch nichts anderes, als dass der Mensch Verantwortung hat für die Welt, die ihm anvertraut wurde. Kein anderes Lebewesen kann so viel kaputt machen auf Erden wie der Mensch - daher hat auch keines so viel Verantwortung.
Wenn wir darüber nachdenken, wo der Mensch diese Verantwortung vernachlässigt hat und die Mitwelt bedroht oder zerstört ist, dann fällt es uns allen wohl nicht schwer, eine Menge von Beispielen anzuführen, von den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine ganz zu schweigen - ich möchte das hier gar nicht breittreten, die Nachrichten sind voll davon.
Unser heutiges Predigtwort lehrt uns, trotz und gegen all diese immer neuen Schreckensmeldungen darauf zu vertrauen, dass der, der diese Welt bis ins Kleinste so wunderbar geschaffen hat, seine Schöpfung nicht einfach preisgeben wird, nicht in unsere Hände und auch nicht durch unsere Hände.
Unser Predigtwort lehrt mich, wieder die Ehrfurcht, das Staunen vor dem Werk Gottes zu lernen, indem ich das Wunderbare seiner Schöpfung auch in den kleinsten Dingen wahrnehme. Dabei können uns unsere Kinder helfen.
Da kommt ein Kindergartenkind freudestrahlend zu mir angerannt. Und als ich frage, was es denn Tolles gegeben hat, da zeigt mir das Kind einen kleinen Marienkäfer - einen kleinen bedeutungslosen Marienkäfer, den ich sonst wohl kaum beachtet hätte - für das Kind war das etwas Staunenswertes, ein Wunderwerk Gottes. Ganz vorsichtig hat es den Käfer gehalten, bestaunt und dann wieder auf ein Blatt gesetzt.
Ich bin überzeugt: Es würde uns Erwachsenen gut tun, wenn wir in unserem Verhältnis zu den Mitgeschöpfen etwas mehr wie die Kinder wären. Ich glaube, nur so erahnen wir das Wunder der Schöpfung. Nur so schärfen wir den Blick für die vermeintlich unscheinbaren Dinge und Wesen, die doch alle Spuren des Schöpfers in dieser Welt sind. Auch der Monat Mai mit seinem frischen Grün und der Blumenpracht, gerade auch hier bei uns in Sommerhausen, kann mir dabei helfen. Freuen wir uns dran und staunen!
Gott traut es uns zu, diese Erde auch für unsere Kinder und Enkel zu bewahren. Dazu hat er sie uns anvertraut.  
Hoffentlich enttäuschen wir ihn nicht.  
 
AMEN
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Gottesdienst  
der evang.-luth. Kirchengemeinde Sommerhausen-Eibelstadt
für den Hirtensonntag Miserikordias Domini, 01. Mai 2022
Pfarrer Jochen Maier

 

Denkmal Schäfer
Bildrechte: Kirchengemeinde Sommerhausen/Eibelstadt
Wochenspruch:
"Christus spricht: Ich bin der gute Hirte.
Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir;
und ich gebe ihnen das ewige Lebe."  Joh 10,11a.27–28a
Predigttext: Johannes 21,15-19

 

Liebe Gemeinde,
 
in der guten alten Zeit, als die Telefone noch eine Schnur hatten und so etwas wie Smartphones nur in Science-fiktion-Filmen vorkamen, als jedes Telefongespräch Gebühren kostete, da gab es noch so etwas wie ein „Liebesorakel“. Frisch Verliebte haben ein Gänseblümchen gepflückt und die Blütenblätter ausgezupft: „Sie liebt mich – oder: er liebt mich, je nachdem – sie liebt mich nicht – sie liebt mich, sie liebt mich nicht.
Oder in der Schule wurden Briefchen geschrieben auf Blättern, die man aus dem Matheheft herausgerissen hatte: „Willst Du mit mir gehen?“ Darunter drei Kästen zum Ankreuzen: Ja, nein, vielleicht…
Heutzutage haben es Verliebte leichter: Sie schicken eine Nachricht mit dem Smartphone. Manche machen das so: Das Zeichen für „kleiner als“ und die Ziffer 3. Beides zusammen gibt ein liegendes Herz. Mathematik spielt da keine Rolle. Die Hoffnung ist, dass der oder die Angehimmelte als Antwort schickt: HDL – hab dich lieb oder sogar: HDGDL – hab dich ganz doll lieb. Mehr braucht es nicht: Ein mathematisches Zeichen, eine Ziffer, vier verschiedene Großbuchstaben und alles ist gesagt….
Schwieriger wird es dann aber, wenn sich die beiden in die Augen blicken, wenn es zum direkten Gespräch kommt. Dann, wenn Dinge geklärt werden müssen, wenn vielleicht auch Enttäuschungen im Raum stehen – und das gilt nicht nur für Verliebte, das gilt auch für Eltern und Kinder oder für gute Freunde. Solche klärenden Gespräche sind weit schwieriger und weit anspruchsvoller, als eben mal kurz drei Zeichen ins Smartphone zu tippen…
Bei solch einem klärenden Gespräch sind wir heute in unserem Predigtwort bei. Am See Genezareth ist der auferstandene Christus einigen Jüngern begegnet, darunter auch Petrus. Sie essen zusammen und nach dem Mahl kommt es zu einem ernsten Gespräch. Wir hören aus dem Johannesevangelium Kapitel 21, die Verse 15-19:
Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben?“ Er spricht zu ihm: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Lämmer!“
Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Er spricht zu ihm: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Schafe!“
Spricht er zum dritten Mal zu ihm: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst.“ Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

 

Liebe Gemeinde, was wir da gehört haben, das ist das sehr persönliche Gespräch zwischen zwei Menschen, die sich nicht nur sehr gut kennen, sondern die sich wirklich nahe stehen.
Dreimal stellt Jesus dem Petrus diese ganz einfache Frage: „Hast du mich lieb?“ Er stellt diese Frage dreimal, weil Petrus ja wenige Tage zuvor Jesus dreimal verleugnet hatte. Dreimal hatten sie ihn im Hof des Hohenpriesters gefragt: „Du gehörst doch auch zu diesem Jesus?“ Und immer wieder hatte Petrus abgewinkt: „Nein, ich kenne ich nicht!“ Dreimal also hatte Petrus seinen Herrn und Freund verleugnet.
Darum geht es hier.
Es geht, wenn man so will, um Vergangenheitsbewältigung.
Es geht um Schuld, und das wissen beide.
Nun hält Jesus seinem Jünger keine Standpauke, er liest ihm nicht die Leviten, sondern er spricht ihn auf das an, um was es geht: „Hast du mich lieb? Hast du mich wirklich lieb?“ Anders als im Deutschen finden sich hier im griechischen Text zwei verschiedene Worte für Liebe, nämlich Agape und Philia, das eine meint die selbstlose Liebe Gottes und das andere die Liebe zwischen Freunden.
„Hast du mich lieber, als die anderen?“ fragt Jesus. Genau das hatte Petrus ja damals großspurig behauptet: „Wenn sie auch alle Ärgernis nehmen, so will ich doch niemals Ärgernis nehmen an dir!“ (vgl. Mt.26,33)

Nun aber ist alles Großmäulige von Petrus gewichen. Ganz kleinlaut antwortet er: „Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe!“
Und was Petrus nun erlebt, das widerspricht eigentlich aller menschlichen Logik. Petrus hat versagt, versagt auf ganzer Linie. Er ist gescheitert. Vermutlich würde ihm jeder moderne Personalchef den Laufpass geben. So einen, auf den man sich gerade dann, wenn’s drauf ankommt, nicht verlassen kann, so keinen können wir nicht brauchen. Der ist unzuverlässig und muss seinen Hut nehmen. Aus und vorbei.
Bei Jesus aber ist das anders.
„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden!“ Das ist das Wunder Gottes, der andere Maßstäbe setzt als wir.
Jesus lässt den Petrus nicht fallen, obwohl er versagt hat, aber er klammert das, was geschehen ist, auch nicht einfach aus. Er sagt nicht einfach: „Schwamm drüber, vorbei ist vorbei, das war ein Ausrutscher, reden wir nicht mehr drüber!“  Im Gegenteil. Er bringt das, was gewesen ist auf den Tisch. Diese dreimalige Frage: „Hast du mich lieb? Hast du mich wirklich lieb?“ diese Frage schmerzt Petrus, die tut weh, denn damit legt Jesus den Finger wirklich in die Wunde, aber da muss Petrus nun durch. Schuld und Versagen werden nicht dadurch überwunden, dass sie verschwiegen oder kleingeredet werden, sondern Schuld wird dadurch überwunden, dass sie vergeben wird.
Und das tut Jesus.
Petrus hat sein Versagen ja bitter bereut. Als der Hahn krähte, das ist er in Tränen ausgebrochen, da hat er geheult. Und Petrus versucht auch jetzt nicht, sich selbst zu rechtfertigen, es auf die Umstände zu schieben, auf die Situation, oder noch besser: Auf die Veranlagung. „Ach weiß du, Jesus, eigentlich war das ganz anders. Ich hab‘ das ja gar nicht so gemeint, das sind die Gene….“
Nein, Petrus antwortet einfach: „Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe!“ Du, Herr, kannst ins Herz hinein sehen. Du kennst mich besser, als ich mich selbst.
Dreimal darf und soll Petrus das nun bekennen. Vielleicht will Jesus ihm dadurch helfen, sich auch selbst verzeihen zu können, denn das ist manchmal noch schwieriger, als anderen zu verzeihen. Wer mit sich selbst nicht im Reinen ist, der wird es auch schwer haben, für andere da zu sein. Und das ist es schließlich, wozu Jesus ihn und uns beauftragt.
Jesus verzeiht, er vergibt Petrus seine Schuld, indem er ihm einen neuen Weg weist, indem er nach vorne zeigt: „Weide meine Lämmer!“ Das heißt doch: ich habe noch etwas vor mit dir. Ich habe dich nicht abgeschrieben. Ich brauche dich: Weide meine Lämmer. Und das hat Petrus dann ja auch getan. Er ist zum treuen Zeugen Jesu geworden.

Gerade die Schwachen macht Jesus zu Hirten. Das ist der Auftrag, den der Auferstandene gibt. Und er gibt ihn nicht nur einzelnen, er gibt sie seiner Kirche insgesamt. Das ist urevangelische Überzeugung, dass dieses Petrusamt nicht an eine Person gebunden ist, sondern der Kirche als ganzer übertragen ist. Und die Kirche, das sind nicht nur Pfarrerinnen, Priester, Diakoninnen und Religionspädagogen, die Kirche, das sind wir alle. Denn dieser Dienst beginnt schon und vor allem in der Familie. Dort, wo Väter und Mütter der nächsten Generation zum Leben helfen und etwas weitergeben sollen von der Botschaft des Evangeliums.
Wo wir die Liebe Gottes weitergeben, wo wir das Evangelium bezeugen an dem Ort und mit den Mitteln, die uns gegeben sind, da sind wir Mitarbeiter Gottes. Weiden heißt: Plätze suchen, wo die uns anvertrauten Menschen das finden, was sie zum Leben brauchen. Das heißt auch: Zusammenhalten und aufeinander achten und sich der Gefährdeten und Verirrten annehmen. Und es ist nicht unsere Herde, die wir zu weiden haben. Das ist ganz wichtig. Jesus sagt: „Weide meine Lämmer!“ Die uns anvertrauten Menschen bleiben Jesu Eigentum. Er ist und bleibt der Herr der Kirche.
Wir können nur seine Mitarbeiter sein, das aber immerhin. Dazu sind wir berufen und das ist manchmal schwer genug. Da ist es nicht damit getan ein „hdl“ hab dich lieb – oder „hdgdl“ ins Handy zu tippen. Jesus weissagt dem Petrus, dass ihn dieses Hirtenamt sogar das Leben kosten wird: „Sie werden dich führen, wohin du nicht willst.“
„Weide meine Schafe!“ Sagt Jesus. Und er sagt es auch zu uns. Und wir können nur bitten: Lass mich dein sein und bleiben
Du treuer Gott und Herr,
von dir lass mich nichts treiben,
halt mich bei deiner Lehr.
Herr, lass mich nur nicht wanken, gib mir Beständigkeit;
Dafür will ich dir danken in alle Ewigkeit.“

 
AMEN  

 

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Gottesdienst  
der evang.-luth. Kirchengemeinde Sommerhausen-Eibelstadt
für Ostersonntag, 17. April 2022
Pfarrer Jochen Maier

 

 

Osterkerze
Bildrechte: Pfarrgemeinde Sommerhausen/Eibelstadt
Wochenspruch:
"Christus spricht: Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von
Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle." Offb 1,18
Predigttext: Markus 16,1-8


 

„Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben.
Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging.
Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?
Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.
Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich.
Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten.
Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.“

 

Liebe Gemeinde,
 
wir feiern Ostern,
wir feiern die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus,
wir feiern den Sieg des Lebens über den Tod.
Wir feiern, dass der Tod, dass Not und Verzweiflung nicht das letzte Wort haben.
Wir feiern das Leben!
Jeden Sonntag bekennen wir das mit den altbekannten Worten:
„hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten!“
Aber wie können wir das verstehen? Wie können wir das wirklich mit dem Herzen begreifen?
Die drei Frauen, von denen Markus uns da im Evangelium erzählt, die haben es zunächst nicht begriffen, konnten es nicht begreifen.
Früh am ersten Tag der Woche und das ist nach christlich-jüdischem Verständnis ja   der Sonntag, der Tag nach dem Sabbat, da gehen sie zum Grab. Ich stelle mir vor, dass sie nicht viel geredet haben auf diesem Weg. Sie hingen ihren traurigen Gedanken nach, der Schmerz, die Trauer steckte ihnen tief in den Gliedern.
Jesus, ihr geliebter, verehrter Meister war tot, grausam hingerichtet hatte man ihn. Er hatte Licht in ihr Leben gebracht, Hoffnung, Liebe. Und nun war alles vorbei.
Eine Welt war für sie zusammengebrochen.
Nun, am Tag nach dem Sabbat wollten sie dem Verstorbenen noch einen allerletzten Liebesdienst erweisen. Sie wollten seinen Leib salben, so wie das im Judentum üblich war.
Ihn ein letztes Mal berühren, streicheln. Vielleicht, vielleicht würde ihnen das helfen, ihn loszulassen.
Ein Stück Trauerarbeit.
Außerdem wollten sie irgendetwas tun. Daheim fiel ihnen die Decke auf den Kopf. Da haben sie es einfach nicht mehr ausgehalten.
Schon bei Sonnenaufgang kommen sie ans Grab. Da schießt ihnen plötzlich der Gedanke in den Kopf: Wie kommen wir überhaupt rein ins Grab? Da ist doch der große Stein davor gerollt? Der ist uns doch viel zu schwer!
Warum haben wir nur nicht früher dran gedacht?
Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?
Aber als sie nun das Grab erreichen und genau hinschauen in der Morgendämmerung, da sehen sie, dass der Stein weggewälzt ist.
Der Weg ins Grab ist frei!
Ganz vorsichtig wagen sie einen Blick hinein in die Grabeshöhle – aber Platz, an den man den Leichnam Jesu gelegt hatte, der ist leer.
Aber rechts an der Seite, da sitzt ein junger Mann in einem langen weißen Gewand.
Wie ein Engel sieht er aus.
Was macht der da? Wie kommt der dahin?
Der Jüngling spricht sie an:
„Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten.“
Die Frauen sind fassungslos. Entsetzt euch nicht! - das sagt sich so leicht, wenn einem so etwas geschieht. Natürlich fürchten sie sich. Sie können nicht verstehen, was da geschehen ist. Sie sehen, dass die Stelle, wo man Jesus hingelegt hat, leer ist. Aber das leere Grab ist kein Beweis für die Auferstehung. Haben die Jünger seinen Leichnam in Sicherheit gebracht? Haben die Gegner ihn verschwinden lassen, um jede Hoffnung zunichte zu machen?
Was sollen sie nun glauben, die Frauen?
Der Tod soll besiegt sein? Ist denn die Welt aus den Fugen geraten? Und dann gibt der junge Mann im weißen Gewand den Frauen einen Auftrag: „Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“
Die Frauen werden auf den Weg geschickt. Sie bekommen den Auftrag, weiterzusagen, was sie gesehen und gehört haben. Und: Sie sollen dem Auferstandenen begegnen. Und erst dann, erst dann wird sich zeigen, dass dieser Jüngling ihnen die Wahrheit gesagt hat.
Liebe Gemeinde,
ich kann mich in diesen drei Frauen gut wiederfinden. In ihrem Zögern, ihrer Unsicherheit. Sie können es nicht recht fassen, ob es tatsächlich wahr ist, was ihnen der Jüngling, der Engel Gottes verkündet.
Oft ist die Realität, die ich erlebe, so ganz anders als das, was die Osterbotschaft verheißt. Ich erlebe, wie der Tod ins Leben einbricht.  
Nicht nur dort, wo Menschen alt und lebenssatt sterben dürfen nach einem erfüllten Leben, sondern oft viel zu früh herausgerissen werden. Ich sehe diese furchtbaren Bilder aus der Ukraine, ich sehe Terror, Menschenverachtung, abgrundtiefen Hass.  
Wie ein Fesl können sich diese Bilder auf die Seele legen und den Blick auf Ostern verstellen.
Und doch hören wir heute die Osterbotschaft: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“
Diese Botschaft kann ich mir nicht selber sagen. Ich kann mir das nicht selber zusprechen. Das ist keine logische Konsequenz aus tiefem Nachdenken. Diese Botschaft muss uns zugesagt, zugerufen, zugejubelt werden.
„Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“  Sicher: Mir begegnet kein Jüngling in weißen Gewändern, wie den Frauen damals.
Aber mir begegnen Menschen, die den Auferstanden bezeugen.
Auch heute.
Menschen, die ihn mit ihrem Leben bezeugen und die das so erlebt haben: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“
Menschen, die zum Beispiel nach großem Leid und größter Not wieder Hoffnung und Zuversicht gefunden haben.  
Ich denke an eine Frau, die sich nach dem Tod ihres Mannes zunächst völlig zurückgezogen hatte, den Kontakt zu Freunden und zur Familie hat sie fast völlig abgebrochen und hat sich ganz in ihr Schneckenhaus zurückgezogen. Sie hat sich regelrecht vergraben in ihr Leid und ließ niemanden an sich heran. Dadurch hat sie viele vor den Kopf gestoßen und viele haben sich abgewandt von ihr. Aber dann, nach etlichen Monaten hat sie es doch geschafft, wieder erste Schritte auf andere zuzumachen. Sie findet erste zaghafte Schritte zurück ins Leben. Eine gute Freundin, die ihr die ganze Zeit die Treue gehalten hat, die hat sie zu einer Reise überredet und das hat ihr unglaublich gut getan. Sie kam endlich wieder einmal heraus aus ihrem Schneckenhaus und hat andere Menschen kennengelernt, die ihr völlig unbefangen begegnet sind. Und das war wichtig für sie. Sie konnte sich endlich mal wieder richtig freuen, richtig unbeschwert lachen.
Oder ich denke an Geschwister, die sich übers Erbe zerstritten haben und jahrelang nicht mehr miteinander geredet haben. Doch dann – ausgerechnet bei einer Beerdigung kommen sie wieder miteinander ins Gespräch. Noch sind die Gräben nicht überwunden – aber ein erster Schritt ist getan.
Das sind kleine Zeichen mitten im Alltag.
Und die gibt es. Die sind oft nicht so spektakulär, wie die großen Katastrophen, von denen in Sondersendungen im Fernsehen berichtet wird. Aber die sind da und die können Mut machen. Die können uns Mut machen, der Auferstehung zu trauen und aus ihr heraus zu leben.
Und auch die Natur kann uns helfen. Die scheint ja nun regelrecht zu explodieren. Nach dem Regen Anfang des Monats nun die Wärme und da kann man doch nur staunen, wie es überall sprießt und grünt. Was zuvor leblos und kahl erschien, das erwacht zu neuem Leben. Da überzieht fast von einem Tag auf den anderen ein grüner Schimmer die vorher braunen Zweige.
Sicher, das passiert alle Jahre, ist eigentlich selbstverständlich für uns und biologisch natürlich einfach zu erklären – und ist doch ein Wunder und es kann uns ein Zeichen sein. Ein Zeichen für den Sieg des Lebens über den Tod.
Noch ist viel zu viel Leid und Not und Schuld in unserer Welt. Noch werden viel zu viele Tränen vergossen. Noch sind auch wir selbst oft viel zu sehr gehemmt und gebunden.
Aber seit jenem ersten Ostern ist klar: Der Tod wird nicht ewig siegen. Jesus selbst hat ihm die Macht genommen und am Ende siegt das Leben. Das kann mit letztlich mit Worten nicht erklären nicht umfassen, das muss man erleben, darauf muss man sich einlassen.
Da hat einmal ein Pfarrerskollege wie ich versucht das Wunder der Auferstehung mit einer besonders langen und ausschweifenden Predigt zu erklären. Nach dem Gottesdienst hat ihn dann ein älterer Mann zur Seite genommen und hat ihn gefragt: Sagen Sie mal, Herr Pfarrer, wissen Sie was eine lange Predigt und eine Maus gemeinsam haben? Der Pfarrer schüttelt erstaunt den Kopf.
Darauf der Mann: „Beide sind für die Katz!“
Nun liebe Gemeinde –darüber zu reden mag für die Katz sein, aber das, was da geschehen ist ganz gewiss nicht. Drum: Lasst uns darauf vertrauen: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“
 
AMEN
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Gottesdienst  
der evang.-luth. Kirchengemeinde Sommerhausen-Eibelstadt
für Karfreitag, 15. April 2022
Pfarrer Jochen Maier

 

Jesu am Kreuz
Bildrechte: Kirchengemeinde Sommerhausen/Eibelstadt
Wochenspruch:
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden,
sondern das ewige Leben haben." Joh 3,16
Predigttext: Lukas 23,33-4

 

Liebe Gemeinde,
 
„Es gibt keine Gerechtigkeit“, sagt die alte Frau, die da gebückt am Küchentisch sitzt. „Er“ und sie deutet mit dem Kopf auf ein Bild an der Wand. „Er ist im Krieg geblieben.“ „Er“, das war ihr Mann. Nur vier Monate waren sie verheiratet. Dann wurde er eingezogen, kam an die Ostfront. Das war 1941. Einmal noch kam er auf Heimaturlaub, das war bei der Geburt der Tochter. Dann kam kein Lebenszeichen mehr. Nie mehr. Vermisst wie so viele irgendwo in den Weiten Russlands.
Die Tochter starb dann mit 28 Jahren bei einem Autounfall. Die alte Frau ist die letzte ihrer Familie. Sonst gibt es niemanden mehr. Seit Jahrzehnten lebt sie von der schmalen Rente allein in der kleinen Wohnung in der Stadt. Alte, einfache Möbel, ein kaltes Wohnzimmerchen, das sie eigentlich nie benutzt, die warme Küche. Kartoffeln stehen auf dem Herd. Sie wischt sich die Brille mit der Schürze.
„Es gibt keine Gerechtigkeit!“ Sagt sie resigniert. Am Morgen hat sie erfahren, dass man ihr den gepachteten Garten am Stadtrand wegnimmt. Die Gärten werden plattgemacht, weil da ein neues Wohngebiet entstehen soll mit schicken teuren Einfamilienhäusern.  
„Wen interessiert da schon eine alte Frau?“ Ihren Garten hat sie geliebt. Er war immer top gepflegt, obwohl das Bücken ihr zunehmend schwer fiel. Aber da hatte sie eine Aufgabe, und die Nachbarn waren immer beeindruckt, was da bei ihr alles wuchs. Vor allem kam sie so noch heraus aus der kleinen Wohnung, hatte eine Aufgabe.
Verbittert sieht sie aus, wie sie da am Küchentisch sitzt. Abgeschlaffte Hände, abgeschlafftes Gesicht, abgeschlaffte Seele.
„Nein“, stöhnt sie noch einmal. „Es gibt keine Gerechtigkeit!
Die einen haben alles und die anderen nichts. Wer hat, der bekommt mehr. Der eine Geld und der andere Sorgen. Aber bald ist alles vorbei. Was habe ich in meinem Alter schon noch zu erwarten?“ sagt sie.
Nur drei Wochen später erleidet sie auf der Straße einen Schlaganfall. Sie schlägt mit dem Kopf an den Rinnstein, noch bevor der Notarzt kommt, ist es schon vorbei. Verwandte gibt es keine.
Zu Beerdigung werden eine Hand voll älterer Damen aus der Nachbarschaft kommen, mehr nicht. In der Stadt ist das so – lange schon vor Corona.
Sie bekommt ein einfaches Urnengrab auf dem städtischen Friedhof, das bald schon verwildert sein wird – weil sie niemand drum kümmert.
„Es gibt keine Gerechtigkeit auf Erden, nicht einmal auf dem Friedhof,“ würde sie wohl sagen.
Liebe Gemeinde, ich brauche die Geschichte dieser Frau nicht zu erfinden, die gibt es viel tausendfach, in vielen Varianten, überall auf der Welt, in diesen Zeiten vielleicht besonders oft in der Ukraine.
„Es gibt keine Gerechtigkeit!“
Auch für Jesus gab es keine Gerechtigkeit. Für die römischen Soldaten war es normaler Henkersalltag – tausendfach erprobt an Juden, später auch an Christen. Sie waren abgebrüht. Wer redet da von Moral?  
Sie taten ihren Dienst, verlosten unter sich den Rock, nahmen wieder ihre Lanzen und kehrten zurück in die Kaserne.  
So wie immer.
Einer musste das ja tun, wenn nicht sie, dann andere.
Jesus hängt am Kreuz, gefoltert, gedemütigt, abgeurteilt nach römischem Recht. Er hängt zwischen zwei gewöhnlichen Verbrechern.
Das ist die Gerechtigkeit, die auf Erden gilt.
Das Recht des Stärkeren.
Aber das ist nicht Gottes Gerechtigkeit!
Karfreitag, das ist der Tag der Gottverlassenheit Jesu.
Der Tag, an dem man an Gott verzweifeln kann.
Aber ist das alles? Wo bleibt da das Evangelium? Wo bleibt die gute Nachricht?
 
Hören wir die Karfreitagspredigt des Evangelisten Lukas, unser heutiges Predigtwort:
Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.
Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.
Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.
Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!
Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.
Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!
Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?
Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!
Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.
Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!
Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.
Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
 
Liebe Gemeinde, was der Evangelist Lukas uns da erzählt, das klingt etwas anders als wir es vorhin in der Evangelienlesung nach Matthäus gehört haben.
Nicht: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Sondern: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Viel ausführlicher als die anderen Evangelisten erzählt Lukas uns von den beiden Verbrechern, die mit Jesus gekreuzigt wurden. Für ihn sind sie wichtig, vor allem, dass einer der beiden Reue zeigt und Jesus ihm noch im Sterben Vergebung zuspricht.  
Das erzählt nur Lukas.
So sind die vier Evangelien wie verschiedene Teile eines Puzzles. Erst, wenn man sie zusammenfügt, entsteht ein vollständiges Bild. Sie ergänzen sich und sie brauchen sich gegenseitig. Wenn nur eines fehlt, ist das Bild unvollständig. Sie verkündigen dasselbe Heilsgeschehen, aber sie tun es aus verschiedenen Blickwinkeln.
In der Gottferne des Karfreitags durchleidet Jesus alles menschliche Leid und kann am Ende doch bekennen: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“
Er durchleidet abgrundtiefes Leid und weiß sich doch vom Vater gehalten. Kein Ort, kein Leid, keine Sorge, keine Enttäuschung, in der er uns nicht nahe ist, weil er all das kennt und selbst durchlitten hat. Das ruft er uns vom Kreuz her zu.
Ich bin auch dir nahe! Auch wenn du dich allein und von allen verlassen fühlst.
 
Es ist dasselbe Gottvertrauen, das aus dem Paul-Gerhardt-Lied spricht, das wir nachher zusammen singen werden:
Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden,
so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten
kraft deiner Angst und Pein.
Kraft seiner Angst und Pein ist er uns nahe und schenkt Vergebung!
Da spannt der Evangelist Lukas einen ganz weiten Bogen zurück zur Weihnachtsgeschichte. So wie dort der Engel den verängstigten Hirten zugerufen hat: „Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird!“
So spricht der Heiland selbst dem reuigen Verbrecher zu: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein!“  
Da geht es um Vergebung – das ist es, was im Mittelpunkt steht.
„Vater, vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“  Von Judas verraten, von Petrus verleugnet, von den Oberen verurteilt, vom Volk begafft und von den Soldaten verhöhnt: Jesus hat für sie alle ein gutes Wort! Das ist Karfreitag!
Und damit sind auch wir gemeint! Da geht es auch und gerade um uns! Dieser Karfreitag gilt auch uns. Er meint auch uns mit unserem eigenen Scheitern, mit dem, was in unserem Leben schiefläuft, mit den Enttäuschungen und Verletzungen, mit den Sorgen und Kränkungen.
Das ruft uns der Evangelist Lukas zu: Doch! Es gibt eine Gerechtigkeit, eine göttliche Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeit, die nichts zu tun hat mit Rache und Vergeltung aber sehr viel mit Liebe und Versöhnung.
Mag es hier auf Erden vielen gelingen, das Unrecht unter den Teppich zu kehren und mögen hier auf Erden Macht und Geld viel zu oft die Oberhand gewinnen. Am Ende gibt es eine Gerechtigkeit, die alles zurechtbringen wird.
Dafür ist Jesus an Kreuz gegangen.
Eine Gerechtigkeit, die gerade auch all diejenigen umfasst, die auf dieser Welt zu kurz kommen – wie jene Witwe, von der ich eingangs erzählt habe.
Eine Gerechtigkeit, die Zukunft eröffnet und Versöhnung schenkt.
Eine Gerechtigkeit, die wir nicht machen können, sondern nur dankbar empfangen können.
Eine Gerechtigkeit, die Verbitterung löst und zur Vergebung befreit.
„Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldiger!“
In deine Hände befehle ich meinen Geist;
du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott…
Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte,
dass du mein Elend ansiehst und kennst die Not meiner Seele
und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes;
du stellst meine Füße auf weiten Raum. (Psalm 31,6+8+9)
 
AMEN
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